Ich und So

Der Brief, den ich nie zu Ende schrieb

31. Januar 2015

Der Brief, den ich nie beendet habe, zu verletzt, zu traurig und zu erschüttert war und bin ich noch immer von dieser Tragödie.

Der Brief und die Trauer

Der Brief, die Trauer

Liebes Schwesterchen,

weisst Du wie oft ich diese Zeilen, diesen Brief schon geschrieben habe? Doch der Schmerz dabei ist immer noch so groß, dass ich es nie weiter geschafft habe und ich weiß ja auch das ich nie eine Antwort bekommen werde.


Und doch möchte ich das jetzt endlich ändern. Ich bin nun 31 Jahre jung und ich weiß es noch als ob es gestern war. Ich saß auf dem Boden und wusste Du bist nicht mehr bei mir. Eine fremde Frau redete auf mich ein, das alles gut werden würde. Aber das war nicht so. Ich wusste nur, dass jetzt alles anders ist. Weißt du das ich einen 18Monate alten Sohn habe und erst jetzt begreife, das dieser Tag damals der schlimmste im Leben von Mama und Papa sein musste.

Ein Alptraum, der nie enden würde. Nur ich war auch da und wie Sie es geschafft haben mich weiter zu versorgen, dass weiß ich bis heute nicht. Ich könnte das glaube ich nicht. Ich wollte damals an deiner Stelle sein, ich wollte nicht, dass dir das passiert, ich hätte dich beschützen müssen als große Schwester. Ich war sehr wütend auf mich und den Rest der Welt. Um meine Gefühle irgendwie loszuwerden fing ich an mit Dir zu reden. Hast du es gehört?

Du hast nie geantwortet und doch wusste ich Du bist da oben, im Himmel und springst von Wolke zu Wolke und schaust auf mich runter. Wieso hast Du nie geantwortet??? Das hab ich mich oft gefragt. Ich kam in die Schule und erzählte das Du im Himmel bist da es für mich das Normalste der Welt war. Es war sehr schlimm, ich wurde ausgelacht,gehänselt und geschlagen und wusste gar nicht wieso. Ich sprach nie wieder von Dir und dem Himmel. Ich sprach aber jeden Abend mit Dir. Ich stellte mir vor, was Du da oben alles so machst und das es Dir eigentlich besser gehen muss als mir.

Denn ich war alleine, alleine mit mir und den Bildern dieses schrecklichen Tages. Ich hatte niemanden mit dem ich sprechen konnte. Es vergingen ein paar Jahre und ich redete weniger mit Dir, schaute aber immer in den Himmel und lächelte in mich hinein. Ich vergaß allmählich wie Du aussahst. Dein Gesicht war in meinen Träumen nicht mehr zu sehen. Egal wie sehr ich mich anstrengte, ich konnte dich nicht mehr sehen. Wieso nur???
Aber der Unfall, den seh ich noch heute in meinen Träumen.

Hast du bemerkt dass ich deswegen immer Angst vor Autos hatte??? Ich wollte nie den Führerschein machen, da ich nie einem Menschen das antun wollte, was uns angetan wurde. Aber ich habe ihn gemacht, ich habe diese Angst überwunden auch wenn es nur für kurze Zeit war. Hattest Du Angst um mich als das Auto mich erfasste??? Das war wieder so ein Moment. Da musste ich in den Himmel schauen und an Dich denken, wie du dich damals wohl gefühlt hast. Hattest du große Schmerzen?
Ganze 5 Jahre habe ich gebraucht um wieder selbst ein Auto zu fahren. Aber ich habe die Angst erneut überwunden. Bist du stolz auf mich???
Heute spreche ich fast nur noch in meinen Träumen mit Dir, es ist ein Tabuthema, der Tod. Es ist so was negatives und trauriges. Wer möchte schon freiwillig darüber reden. Man kann das Geschehene nicht ändern, man muss weiterleben. Wenn ich darüber reden würde, dass Du für mich noch immer im Himmel bist, dann würde ich wieder für verrückt erklärt werden.

Das möchte ich nicht.

Für mich ist es aber eine Verbindung zu Dir, der Himmel löst in mir schöne Gefühle aus. Ich schaue gerne hinauf, er ist unendlich, die Wolken sind Spielplätze für all die kleinen Mädchen und Jungen.
Ich schreibe Dir das, weil ich dich nie vergessen kann und Dir zeigen will dass ich immer an dich denke.
Ich bin jetzt auch nicht mehr alleine, ich habe eine kleine Familie und Mama, Papa und dein/ unseren kleinen Bruder. Wir haben geschafft damit irgendwie umzugehen, jeder auf seine Weise und doch jeder für sich alleine.

Mama wird es nicht gut finden dass ich Dir schreibe, es wird Sie traurig machen. aber liebe Mama und lieber Papa, ihr müsst nicht traurig sein, ihr seid nicht Schuld daran, ihr habt euer Bestes gegeben. Dass weiß ich heute.

Liebe kleine Schwester, du fehlst mir unendlich, ich werde dich nie vergessen und immer wenn ich in den Himmel schau dann seh ich dich hüpfen und winken.

Pass weiterhin gut auf uns auf.
Vielleicht schreibe ich Dir bald wieder.

In Liebe deine große Schwester

Diesen Brief durfte ich auf der Frankfurter Buchmesse laut und vor Publikum lesen und das war eine sehr extreme Situation für mich. Dieser Brief ist ebenfalls in dem E-Book 1000 Tode schreiben veröffentlicht wurden, dieses könnt ihr hier kaufen.

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13 Comments

  • Reply lukowacas 21. Januar 2017 at 21:02

    Ich weiß nicht so recht, was ich diesbezüglich kommentieren soll.
    Nur dies: wunderschön geschrieben.

    Als Vater von drei Kindern habe ich Momente, in denen ich genau solch einen Verlust so sehr fürchte.
    Wie schaffen Eltern das?
    Vielleicht mit einem Blick in den Himmel, mit viel Tränen und Vergebung.

    Ganz sicher ist Deine Schwester stolz auf Dich.

    Liebe Grüße

    Lucas

    • Reply Glucke 22. Januar 2017 at 16:55

      Hallo Lucas,
      vielen Dank.. ich hoffe Sie ist stolz und ich hoffe wir werden uns irgendwann wieder sehen. Ja seit ich Mutter bin habe ich diese Verlustängste ich umso mehr. Meine Eltern haben das nie verkraftet und werden es auch nie und inzwischen verstehe ich vieles auch besser- ihre Handlungen und Vorgehensweisen. So ein Verlust verändert wirklich das ganze Leben und es verfolgt mich auch noch immer.
      Liebe Grüße
      Dani

  • Reply Paleica 16. November 2016 at 14:32

    oh wie furchtbar traurig, wie schrecklich schmerzhaft und einschneidend muss so ein erlebnis sein…

  • Reply gedankenpotpourri 18. Oktober 2015 at 12:30

    So berührende Worte. Dein Schwester wird sich sehr darüber freuen. <3

    • Reply Glucke 18. Oktober 2015 at 17:22

      Danke und ja ich glaube sie ist genauso stolz auf mich wie ich es bin.

  • Reply Jessi (Terrorpüppi) 7. April 2015 at 6:36

    Liebe Dani,

    Ich liege hier in meinem Bett und die Tränen laufen mir über meine Wangen. So unendlich traurig machen mich deine Worte. Nicht nur deinetwegen – auch wenn ich deinen Verlust unheimlich bedauere, sondern auch meinetwegen. Deine Worte erinnern mich an die Vergänglichkeit und daran wie unglaublich wertvoll die Zeit mit unseren Lieben ist. Immer zu kurz diese Zeit. Allein der Gedanke daran, ich hätte mein Brüderlein verlieren können und meine Tochter heute… Nein, allein leise Gedanken daran lösen Schmerz in mir aus. Ein Schmerz, der jedoch nicht an das heran zu reichen mag, was du gefühlt hattest und noch heute fühlst. Der Tod von Kindern berührt in besonderer Weise oder der der eigenen ein Leben lang und über den Tod hinaus.

    Eine dicke Umarmung!
    Jessi

    • Reply Glucke 7. April 2015 at 7:52

      Liebe Jessi,
      Ja man merkt erst wie vergänglich wirklich alles ist, wenn es zu spät ist oder etwas schlimmes passiert. Es fällt mir schwer zu denken alles hat seinen Sinn wenn das ganze Leben sich durch solch eine Tragödie verändert. Ja der Verlust von Kindern hat nochmal eine andere Schwere, deshalb bin ich vllt. auch eine kleine Glucke, da ich weiß, dass es ganz schnell passieren kann, ein großes Unglück, über das man nie wieder Weg kommt.
      Ich danke Dir für deine Worte, mir hilft es darüber zu sprechen.
      Liebe Grüße
      Dani

  • Reply Sandra 4. April 2015 at 14:45

    Liebe Dani,

    darf ich Dich so nennen? Dein Brief an Deine kleine Schwester hat mich sehr berührt. Ich finde es wichtig und richtig, von ihr zu sprechen – auch wenn das nicht allen Mitmenschen gefällt. Darum wünsche ich Dir gute Menschen, mit denen Du von Deiner Schwester sprechen kannst. Wie gut, dass Du die Möglichkeit bekommen hast, Deine Erfahrungen schriftlich zu verarbeiten.

    Jeder Mensch verarbeitet Trauer anders. Darum mögen Deine Eltern nicht davon sprechen. Vielleicht haben sie Angst vor den Tränen, dem Unverständnis der Umwelt i.S.v.: „Was, nach dieser langen Zeit? Irgendwann muss doch mal gut sein.“ Glücklicherweise geht die Erinnerung an einen geliebten Menschen niemals verloren. Wie sollte das möglich sein? Auch ich glaube ganz fest daran, dass die geliebten Menschen um uns sind. Wir können mit ihnen sprechen – so wie auch Gespräche mit Gott und den Heiligen möglich sind. Deine Schwester nimmt Anteil an Deinem Leben und freut sich gewiss schon auf euer Wiedersehen.

    In wenigen Stunden werde ich mit einem Teil meiner Familie in die Osternacht gehen. Ich denke an Dich, Deine Schwester, eure Familie.

    Vielen Dank für das Mit-teilen.

    Ein frohes und gesegnetes Osterfest!

    Bleibt behütet

    Sandra

    • Reply Glucke 4. April 2015 at 19:22

      Liebe Sandra,
      vielen Dank für deine Worte und Dir ein schönes Osterfest
      Liebe Grüße
      Dani

  • Reply Mama Schulze 15. März 2015 at 20:46

    Das hast Du wirklich schön geschrieben. Danke dafür! Du bist stark und nichts anderes.
    Ich habe selbst eine Schwester, die mich überall hin begleitet hat. Erst vor kurzem konnte ich sie wirklich und endlich gehen lassen. Der Gedanke, dass sie auch auf einer Wolke sitzt, gefällt mir 🙂 LG

    • Reply Glucke 15. März 2015 at 20:57

      Hallo Mama Schulze,
      Oh das tut mir leid, ich kann das nicht verarbeiten, noch nicht vllt. Es ist immer noch so präsent. Das schöne ist aber dass ich weiß dass sie viele Freunde auf ihren Wolken hat und jetzt wieder eine neue, nämlich deine Schwester.
      Danke dass du mir das anvertraust.
      Liebe Grüsse
      Dani

  • Reply lareine 7. März 2015 at 19:07

    Oooh … das ist schön und schrecklich traurig zugleich.
    Wie viel alter Schmerz in diesen Worten liegt und zugleich so viel Hoffnung und Vertrauen. Es tut mir sehr leid zu lesen, wenn eine Familie einen derartig tiefen, herzzerreißenden Verlust verkraften muss.

    Ich habe einmal gelesen, dass Kinder „von der anderen Seite“ aus ihre Eltern und Geschwister etwas lehren. Dass sie nur vorausgehen, um den Lebenden den Himmel näher zu bringen und ihnen die Schönheit der Welt durch den Tränenschleier hindurch zu zeigen.
    Ich persönlich maße mir nicht an, dazu etwas zu sagen – doch es klang weise und schön, daher gebe ich es hier weiter.

    Alles Gute weiterhin für Dich und Deine Familie!

    • Reply Glucke 7. März 2015 at 19:58

      Liebe Saskia,

      Wow das klingt so schön und ich danke dir vielmals für deine Worte. Ja es ist viel Schmerz,Sie fehlt mir einfach ungemein.
      Liebe Grüsse
      Dani

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